Aktionsbündnis Demenz: Zurück in die Mitte der Gesellschaft

Singen - Viele alte Menschen ziehen sich in die eigenen vier Wände zurück, wenn sie ihre Demenz nicht mehr verstecken können. Das Aktionsbündnis Demenz Singen/Hegau will das mit Hilfe der Bevölkerung ändern.

Sie wollen eine demenzfreundlichere Kommune (v.l.): Harald Scülfort (St. Anna), Dr. Achim Gowin (Chefarzt für Geriatrie), Matthias Frank (Michael-Herler-Heim), Gabriele Glocker (Alfa Alten- und Familienservice), Torsten Kalb (Stadt Singen), Gabriele Oest-Bieber (Alltagsbegleitung), Jolanta Stefanow (Psychologin), Michael Krupinski (Diakonische Dienste), Reinhard Zedler (Awo). Bild: Thissen

Niemand weiß genau, woher die Krankheit kommt, sicher ist nur: Alzheimer ist überall verbreitet, wo alte Frauen und Männer leben. In der Stadt Singen sind nach Schätzungen 740 Menschen von dieser unheilbaren Gehirnstörung betroffen, die in den meisten Fällen für eine Altersdemenz verantwortlich ist. Und es werden immer mehr. Denn je höher das Lebensalter, desto größer die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken oder anderweitig dement zu werden.

Deshalb will das Aktionsbündnis Demenz Singen/Hegau die Stadt zu einer demenzfreundlichen Kommune entwickeln und startet dazu eine Umfrage, was Singener darunter verstehen. Ziel einer demenzfreundlichen Kommune ist es, Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen trotz oder gerade wegen ihrer Diagnose die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weiterhin zu ermöglichen. Um herauszufinden, was die Bürger unter einer demenzfreundlichen Kommune verstehen, liegen ab morgen, 5. Juli, drei Wochen lang Fragekarten des Aktionsbündnisses aus. Die Karten mit vier Fragen und Raum für Anmerkungen gibt es unter anderem im Rathaus, in Pflegeheimen, im Krankenhaus und bei der AWO, wo sie auch abgegeben werden können (bis 31. Juli).

Zum Mitmachen sind auch diejenigen aufgerufen, die nicht unmittelbar betroffen sind, sondern auch im weiteren Umfeld einmal Berührung mit der Thematik Demenz hatten. „Die Taktik, alle Demenzkranken in Heimen zu versorgen, funktioniert nicht“, betont Reinhard Zedler, Geschäftsführer beim AWO-Kreisverband Konstanz, der die Initiative gemeinsam mit zwölf Einrichtungen gestartet hat. Alle müssten mit dieser Krankheit leben lernen, die aufgrund der alternden Gesellschaft immer wichtiger werde.

Deshalb möchte das Aktionsbündnis die Bevölkerung vor allem für die besondere Situation von Demenzkranken sensibilisieren und zu einem ungezwungenen Umgang motivieren. „Es geht um die Fragen: Wie erkenne ich, dass jemand dement ist und wie verhalte ich mich dann?“, fasst Zedler zusammen. Etwa wenn eine alte Dame im Geschäft dreimal dasselbe kaufen will oder ein älterer Herr orientierungslos durch die Fußgängerzone irrt. „Wir wollen, dass die Leute dann nicht wegschauen“, sagt Michael Krupinski, Leiter der Diakonischen Dienste Singen.

Mit ihrem Aufruf zu einer demenzfreundlichen Kommune will das Aktionsbündnis, zu dem auch die Stadt Singen zählt (alle Teilnehmer siehe oben), möglichst alle Bevölkerungsgruppen erreichen. Schließlich steht jeder irgendwann vor einem demenzkranken Menschen, der Hilfe und besondere Aufmerksamkeit benötigt: beim Bäcker, im Bus, am Bankschalter oder auch im Wartesaal des Bürgerbüros. „Die demenzfreundliche Kommune ist aber nicht allein kommunale Aufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche“, betont Torsten Kalb, Fachbereichsleiter für Jugend, Soziales, Ordnung der Stadt Singen.

„Demenzfreundliche Kommune“ bedeutet für Gabriele Glocker vom Alten- und Familienservice Alfa auch, die Betroffenen mit ihren Angehörigen ganz selbstverständlich unter Leute und auf die Straße zu bringen: in die Geschäfte, Cafés, in den Park. „Wir wollen dem persönlichen Rückzug aus der Gesellschaft entgegenwirken“, sagt die Pflegefachkraft.

Diese häufig zu beobachtende Reaktion auf die Alzheimer-Krankheit sieht auch Achim Gowin, Chefarzt für Geriatrie am Krankenhaus Singen, der das Aktionsbündnis unterstützt. „Die meisten Patienten leiden still und heimlich“, berichtet er. Bei der Entwicklung hin zu einer Gesellschaft, die besser auf Demenzkranke eingestellt ist, stehe Singen erst am Anfang.

Ergebnisse und Mitglieder

Die Ergebnisse der Auswertung von Fragekarten und Telefonaktion werden beim Bürgerforum am 26. September um 15.30 Uhr im Wichernsaal, Freiheitsstr. 36, Singen anlässlich des Weltalzheimertags vorgestellt. Bei der Veranstaltung wird es in einem Podium auch um Machbarkeit und Umsetzung einer demenzfreundlichen Kommune gehen.

Mitglieder des Aktionsbündnisses Demenz Singen/Hegau: ALFA Alten- und Familienservice e.V., AWO Kreisverband Konstanz, AWO-Pflegeheim Emil-Sräga-Haus, Diakonische Dienste, Haus am Hohentwiel, Alters- und Pflegeheim St. Anna, AWO-Seniorenzentrum Michael-Herler-Heim, Pflegezentrum St. Verena, Pflegestützpunkt Radolfzell, Aktive Lebensgestaltung für Senioren Tobias Volz, Stadt Singen, Alltagsbegleitung Oest-Bieber, Jolanta Stefanow, Soziales Netzwerk Aach.

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